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Mönchehaus Museum für moderne Kunst


Mönchestrasse 3
38640 Goslar
Tel.: 05321 295 70
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Öffnungszeiten:

Di-So 10.00-17.00 Uhr

Istanbul. Sammlung Huma Kabakci

07.08.2010 - 26.09.2010

60 Jahre türkische Kunst Zwischen Tradition und Provokation

Türkische zeitgenössische Kunst findet international immer größere Anerkennung. Die 1987 ins Leben gerufene Biennale in Istanbul, die Entstehung international ausgerichteter Kunstmuseen in der Türkei wie das 2004 eröffnete „Istanbul Modern“ und die Beteiligung türkischer Künstler an wichtigen Großausstellungen wie der documenta und der Biennale in Venedig oder Berlin haben zu der wachsenden Reputation beigetragen. Die politischen Entwicklungen mit der kontrovers geführten Diskussion um den Beitritt der Türkei zur EU verleihen der türkischen Kunstszene eine zunehmende Aktualität.
2010 wurde Istanbul neben Essen mit dem Ruhrgebiet und dem ungarischen Pécs als Kulturhauptstadt ausgezeichnet – ein willkommener Anlass für unsere Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Osthaus Museum in Hagen und der Modern Hungarian Gallery in Pécs entstand.
Sie bietet einen Überblick über 60 Jahre türkische Kunst mit Werken aus der renommierten Istanbuler Sammlung Huma Kabakci. Der Ende 2009 verstorbene Unternehmer Nahit Kabaci, dessen Sammlung den Namen seiner 1990 geborenen Tochter Huma trägt, konzentrierte sich auf malerische Positionen von Künstlern, die bis heute in Istanbul oder anderen Städten der Türkei leben. Auf internationalen Kunstausstellungen ist die türkische Kunst eher durch Filme, Fotografien, Videos und Installationen bekannt geworden, während bisher ein substantieller Einblick in die türkische Malerei fehlte. Diese Lücke möchte die Ausstellung „Istanbul. Sammlung Huma Kabakci“ schließen.
Der Katalogeinband zeigt das Bild einer aus Pailletten gestickten, schwarzweißen Kuh auf einem runden, rosafarbenen Grund. Die gescheckte Musterung des Felles hat der Künstler so strukturiert, dass der aufmerksame Betrachter darin das Porträt eines kühn blickenden Mannes mit Ohrring entdecken kann. Es zeigt den Sultan Selim, der als „Selim, der Gestrenge“ in die osmanische Geschichte eingegangen ist. Gefertigt hat das Bild, in dem Züge von Popart und Neo-Dada sichtbar werden, der 1980 in Istanbul geborene Künstler Erinç Seymen. Es beweist, dass die zeitgenössische türkische Kunst längst in der Moderne angekommen ist.
Der Katalog, auf dem Seymens Vexierbild prangt, enthält 141 Werke von 56 Künstlerinnen und Künstlern. Nahit Kabakci hat sich bei seiner türkischen Sammlung auf die Kunst der letzten sechzig Jahre konzentriert. Er nahm das Ende des Zweiten Weltkrieges und die damit verbundene weitere politische Öffnung des Landes nach den großen Reformen durch Mustafa Kemal Atatürk in der ersten Jahrhunderthälfte als zeitlichen Ausgangspunkt für die von ihm zu sammelnden Werke.
Dabei wird sichtbar, dass vor allem die große, die fünfziger Jahre in Deutschland und im ganzen Westen bestimmende Auseinandersetzung, wie künftig zu malen sei, ob abstrakt oder gegenständlich, auch in der Türkei einen kräftigen Widerhall erlebte. Die Sammlung beinhaltet mit Werken der renommierten Künstler Ferruh Basaga, Sabri Berkel und Fahr-El Nissa Zeid schöne Beispiele lyrischer und konstruktiver Abstraktion. Zur nächsten Generation, deren Protagonisten mit einer sehr eigenständigen und idiosynkratischen Kunst zum Teil auch im Westen bekannt werden, gehören u. a. Sarkis, Azade Köker und Yüksel Arslan. Der wahre Durchbruch der türkischen Kunst findet indes mit Beginn der 80er Jahre statt, als junge Künstler in Performances, Installationen, Fotografien und Filmen stärker als zuvor auf soziale und politische Themen reagieren. Auch hier finden sich Beispiele in der Ausstellung.
Ein Fest für das Auge und einer der Höhepunkte der Ausstellung sind die schönen schwarzweißen Aufnahmen des renommierten Fotokünstlers und „Magnum“-Fotografen Ara Güler, der seine Stadt Istanbul in den fünfziger und sechziger in ebenso sensiblen wie expressiven Bildern festhält. Mit dem neugierigen und vorurteilsfreien Blick des wahren Liebhabers streift er durch die Straßen seiner Stadt und entdeckt sie in jeder Aufnahme neu – und wir sie mit ihm. Güler schafft eine empfindsame Chronik der Stadt, die ihresgleichen sucht. Seine Bilder sind zu jeder Zeit Dokumente und zugleich Symbole und Metaphern einer überzeitlichen condition humaine. Und dennoch sind sie nur eine der vielen Entdeckungen, die der Betrachter in der an künstlerischen Überraschungen reichen „Sammlung Huma Kabakci“ in Goslar machen kann. Michael Stoeber

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