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Ludwig Forum für internationale Kunst


Jülicher Straße 97-109
52070 Aachen
Tel.: 0241 1807 104
Homepage

Öffnungszeiten:

Di, Mi 12.00-18.00 Uhr
Do 12.00-22.00 Uhr
Sa, So 11.00-18.00 Uhr

Pawel Althamer: Kinderkönigreich

01.06.2014 - 21.09.2014

Aachen begeht das Karlsjahr 2014: Vor 1200 Jahren ist Karl der Große, einer der mächtigsten Herrscher des Mittelalters, in seiner Lieblingspfalz in Aachen gestorben. Aus diesem Anlass lädt der polnische Künstler Paweł Althamer zu einem vielgestaltigen, hintergründigen und experimentellen Kunstprojekt ein. Für vier Monate, vom 1. Juni bis 21. September 2014, zieht er mit der befreundeten Künstlergruppe „Reactor – Sculpture Lab“ aus Warschau ins Ludwig Forum ein, um Themen wie Macht, Herrschaft und Freiheit einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu beleuchten: aus Sicht der Kinder.
Zusammen mit Hunderten Kindern und Jugendlichen wird ein „Kinderkönigreich“ errichtet, das sich vom Garten und dem Hof des Ludwig Forum über den öffentlichen Raum bis in die gegenüberliegende Elisabethkirche erstreckt. In Workshops und Aktionen werden diese Orte belebt und verwandelt: eine Kirche besetzt, die Umgebung verändert, Geschichten erfunden, Kostüme entworfen, ein Monument erschaffen. Motor dieser künstlerischen Transformationen ist dabei die Naivität und Kreativität des Kindseins, welche auch für Erwachsene neue Perspektiven eröffnen.
Im Herzen des Museums findet ein Zeichner-Kongress statt. Hier dürfen Wände und Boden bemalt werden – eine Einladung an alle, mittels Bildern zu diskutieren. In einer offenen Akademie können zudem eigene Kunstwerke erschaffen werden, die anschließend in einer Ausstellung zu sehen sind.
Höhepunkt sollen ein Fest und eine Parade in Phantasieuniformen auf der Hauptverkehrsstraße vor dem Museum sein – wenn die Kinder und Jugendlichen mitspielen. Denn sie haben erklärtermaßen den Freiraum, die Projekte ganz nach ihren eigenen Visionen umzusetzen. Althamer und seine Künstlerfreunde, die sich während der gesamten Laufzeit des Projektes immer wieder in Aachen aufhalten werden, stehen den Akteuren als Katalysatoren im künstlerischen Prozess zur Seite.
Es gehört zu Paweł Althamers Strategie, bestehende Regelsysteme zu untergraben und neue Handlungsmuster hervorzurufen. Ob Skulptur, Film oder vier Monate Kinderkönigreich: Seine Arbeiten sind institutionskritisch, sozial engagiert, selbstreflexiv. Und sie sind als Ergebnisse eines Prozesses zugleich präsenter Gegenstand und Träger gesellschaftlicher und ästhetischer Erfahrung.
In seiner Arbeit stehen vier Elemente im Vordergrund: die Interaktion, die Selbstreflexion, die Teilhabe und das Prozesshafte. „Ich glaube, Kunst ist ein offenes Feld der Kommunikation, offener als Politik und Religion. Heutige Kunstpraxis ist mehr im Fluss und in Kommunikation mit anderen Bereichen als alles andere, sie ähnelt am meisten dem, was man Freiheit nennt.“ (Althamer)
Althamer geht es um eine handlungsorientierte Erprobung von Freiheit. So lief er während der documenta X als aufsehenerregender Astronaut durch Kassels Straßen. Und um auf seine „innere Obdachlosigkeit“ aufmerksam zu machen, richtete er sich längerfristig in einem Baumhaus vor der Foksal Gallery in Warschau ein. In anderen Arbeiten geht er als teilnehmender Beobachter im Kollektiv auf oder tritt ganz in den Hintergrund. So schickte er 2006, als ihm eine Einzelausstellung im Centre Pompidou angeboten wurde, elf junge Kollegen an seiner Stelle nach Paris, um diese zu realisieren.
Oft rückt er Menschen ins Rampenlicht, die gewöhnlich wenig Gehör finden. Dazu gehören Obdachlose, Gefängnisinsassen, Migranten oder perspektivlose Kinder und Jugendliche. Für sie und mit ihnen gemeinsam konzipiert er Mikrokosmen, in denen sich sein „großes Projekt“, die Durchdringung von Kunst und Leben, verwirklicht. Bei Skulptur Projekte Münster 2007 etwa legte Althamer mit Hilfe von Gefängnisinsassen einen Trampelpfad an, der die Besucher durch die Landschaft am Stadtrand führte, um schließlich in einem Kornfeld abrupt zu enden. Althamer: „Im Prozess sein, das ist der Punkt. […] In meiner Arbeit geht es darum, andere dies auch begreifen zu lassen.“
Das Aachener Projekt „Kinderkönigreich“ greift das Buch „König Hänschen“ des im NS-Vernichtungslager Treblinka ermordeten Autors und Arztes Janusz Korczak auf, in dem es um die Idee einer Kinderrepublik geht. Es thematisiert den Diskurs über Freiheit und Macht, Organisation und Politik sowie die Umkehrung des Verhältnisses zwischen Erwachsenen und Kindern auf. Als zeitgenössischer Kommentar dazu stellt das Projekt Fragen nach der Bedeutung der Jüngsten in unserer Gesellschaft, deren Existenzbedingungen, Wünschen und Ideen von Freiheit. So wird das „Kinderkönigreich“ zum Demokratielabor. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments.
Paweł Althamer 1967 in Warschau geboren, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre als feste Größe in der internationalen Kunstszene etabliert. So war er zum Beispiel Teilnehmer der documenta X (1997) in Kassel, der Manifesta 3 (2000) in Ljubljana, der 50. Biennale in Venedig (2003), der 4. und 7. Berlin Biennale (2006, 2012), der Skulptur Projekte Münster (2007) sowie der letzten Biennale in Venedig (2013). Bedeutende Museen richteten Einzelausstellungen für den Künstler aus, darunter die Kunsthalle Basel (1997), das Museum of Contemporary Art in Chicago (2001), das Pariser Centre Pompidou (2006) und das New Museum in New York (2014). Das Bonnefantenmuseum in Maastricht verlieh dem Künstler 2004 den „Vincent van Gogh Bi-annual Award for Contemporary Art in Europe”. 2010 folgte der Aachener Kunstpreis.

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