Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest
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Helmhaus

Foto: fbm studio
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Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest
Raumansicht der Ausstellung "Kunststipendien der Stadt Zürich 2019", Foto: Zoe Tempest

Limmatquai 31
8001 Zürich
Tel.: 044 415 56 77
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Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr
Do 11.00-20.00 Uhr

Serge Stauffer: Kunst als Forschung

15.02.2013 - 14.04.2013

Erstmals gibt eine Ausstellung Einblick in Leben und Werk des bedeutenden Schweizer Künstlers, Kunsttheoretikers und Duchamp-Kenners Serge Stauffer (1929–1989). Als Mitbegründer der Kunstschule F+F hat Serge Stauffer eine ganze Generation von Studierenden geprägt. Die Ausstellung zeigt Arbeiten von Stauffer und seinem Umfeld und erlaubt so einen neuen Blick auf künstlerische Experimente der 1950er bis 1970er Jahre und auf eine in Zürich betriebene unkonventionelle Kunstpraxis mit internationaler Ausstrahlung.
Die Ausstellung enthält als besondere Überraschung im grössten Raum eine Landschaft mit 216 Würfeln, die von den Besucherinnen und Besuchern zusammengeschoben, gestapelt und als Sitzgelegenheit genutzt werden können. Dieses Konzept folgt einer von Stauffer selber entworfenen Würfel-Version seines Kombinationsspiels jardin public (1960) und wurde von Hand für diese Ausstellung angefertigt. So entsteht ein verspielter Aufenthalts- und Spielraum – auch Kinder sind herzlich willkommen!
In einem ersten Teil zeigt die Ausstellung Arbeiten aus der Zeit von 1950–65. Stauffer und seine Frau Doris lernten von 1952–55 eine sachlich geprägte Fotografie bei Hans Finsler und Alfred Willimann an der damaligen Kunstgewerbeschule, heute Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Auch arbeitete Stauffer im Grafikatelier von Josef Müller-Brockmann oder als Assistent von Max Bill. Im Gegensatz dazu standen Stauffers Interesse für den Surrealismus, das er mit André Thomkins teilte, und der Beginn seiner Auseinandersetzung mit Marcel Duchamp. Als Stauffer 1957–64 selber an der Fotoklasse lehrte, interessierte er sich für die aktuelle Avantgarde wie Fluxus oder die Wiener Gruppe. Trotzdem sind seine Arbeiten dieser Zeit, wie die Studie zu geometrisch-optischen Täuschungen oder das Kombinationsspiel jardin public, formal schnörkellos und sachlich.
Mit der von Stauffer und Hansjörg Mattmüller 1965 an der Kunstgewerbeschule gegründeten Klasse «Form und Farbe» (F+F) beginnt der zweite Teil der Ausstellung. Die Klasse orientierte sich, wie Arbeiten von Ellen Classen oder Bendicht Fivian zeigen, am ehesten an der Pop Art. Spätestens ab 1969, mit dem von Doris Stauffer eingeführten Kurs «Teamwork», wurden Happening und politisches Engagement – vor allem für die Frauenbefreiungsbewegung (FBB) – wichtig. Dieses Engagement gipfelte 1970 im Protest und Austritt von Lehrern und Schülern aus der restriktiven Kunstgewerbeschule. Ab 1971 entstand an der neu gegründeten «F+F Schule für experimentelle Gestaltung Zürich» ein Raum, wo freie Gestaltungspädagogik entwickelt und erprobt werden konnte.
Im dritten Teil der Ausstellung wird anschaulich, wie Stauffer als Mitbegründer und Lehrer der F+F seine Ideen zu Kunst als Forschung zu einer eigenständigen Theorie entwickelte. Diese aus praktischer Erfahrung genährte Theorie hätte durch ihre systemkritische, soziale, psychologische und ideologiekritische Ausrichtung eine wertvolle Basis für damalige Kunst-Forschung bieten können, wie sie etwa das britisch-amerikanische Kollektiv Art & Language betrieb, und sie entsprach auch der Offenheit der 1970er-Jahre für individuelle Weltentwürfe. So lieferte Stauffers Ansatz zwar das Fundament für die F+F als Kunstlabor und wurde von Schülern wie Ruedi Bechtler, Liliane Csuka, Rudolf de Crignis, Max Frei (ALMA), Christina Kubisch oder Klaudia Schifferle aufgegriffen – mangels Publizität wurde er sonst aber kaum rezipiert.
Die rückblickende Auseinandersetzung zeigt, dass Stauffer seine gesamte Arbeit als Lehrer und Schulleiter, aber auch als Vortragender und Performer, Übersetzer und Publizist, wie auch sein eigenes bildnerisches Schaffen, seine Dichtungen und Tagebücher und sein Engagement für die Männeremanzipation gleichwertig als Teil seiner Arbeit als forschender Künstler verstand. Dieses spektrale Bild eines Künstlers, heute von vielen Künstlerinnen und Künstlern so praktiziert, war für die damalige Zeit visionär. Entsprechend übersetzte Stauffer akribisch die Texte von Duchamp, da in diesen erst klar wurde, wie sehr Duchamp die Grenzen und Möglichkeiten der Kunst ausgelotet und erörtert hatte – ein Kunst-Forscher par excellence.
Für die Zukunft stellt sich deshalb im letzten und vierten Teil der Ausstellung die Frage, wie die momentan breit diskutierte künstlerische Forschung die Arbeit von Stauffer fruchtbar machen kann. Aktuelle Forschungsprojekte der ehemaligen Stauffer-Schüler M. Vänçi Stirnemann und Reinhard Storz veranschaulichen beispielhaft die völlig unterschiedlichen Bedingungen der heutigen institutionalisierten Forschung im Gegensatz zum damaligen utopischen Raum an der F+F. Diese Fragen greift auch das Symposium «Visionäres Kunstlabor» auf, das in der Ausstellung stattfindet.
Voraussetzung für die Eröffnung einer solchen Diskussion ist der Zugang zu Texten von Stauffer. Deshalb erscheint zur Ausstellung im Verlag Scheidegger & Spiess eine Anthologie von Texten Stauffers, mit seinen Ideen zu Kunst als Forschung und deren Kontext. Die Abbildungen in der Publikation wie die gesamte Ausstellung zeigen, wie vielfältig eine forschende Kunstpraxis aussehen konnte und wie lebendig und unvermittelt die Arbeiten noch heute wirken.

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