Blick auf Galerie der Gegenwart und Gründungsbau © Hamburger Kunsthalle, Foto: Wolfgang Neeb
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Hamburger Kunsthalle - Sammlung Galerie der Gegenwart

Hamburger Kunsthalle, Foto: Romanus Fuhrmann-Rickert
Hamburger Kunsthalle, Foto: Romanus Fuhrmann-Rickert
Blick auf Galerie der Gegenwart und Gründungsbau © Hamburger Kunsthalle, Foto: Wolfgang Neeb
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Glockengießerwall 1
20095 Hamburg
Tel.: 040 428542612
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Öffnungszeiten:

Di-So 10.00-18.00 Uhr
Do-21.00 Uhr

Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation

30.01.2009 - 26.04.2009
1969 oder die Ambivalenz der Extreme Ort: Galerie der Gegenwart Die Ausstellung MAN SON 1969. Vom Schrecken der Situation widmet sich dem Reiz und der Gefahr der Extreme. Ausgangspunkt sind historische Ereignisse in Ästhetik und Politik, Lebenskunst und Gegenkultur der 1960er Jahre, deren Bedeutung bis heute umstritten ist. Rückblickend auf das Jahr 1969 werden 20 internationale Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die Frage der Ambivalenz der Extreme dieser Zeit weit reichender gesellschaftlicher Reformprozesse mit neuen Arbeiten aufzugreifen. Die zeitgenössischen Positionen werden mit drei Gemälden aus verschiedenen Epochen, darunter Meister Franckes Christus als Schmerzensmann und John, der Frauenmörder von George Grosz, in Beziehung gesetzt. Charles Manson, eine zentrale Figur der amerikanischen Hippie-Kultur, gilt als Anstifter der Morde an Sharon Tate und sechs weiteren Personen. Er befindet sich bis heute in Haft. Sein Name und sein Image dienen aufgrund seiner höchst umstrittenen Medien-Popularität als Stichwortgeber der Ausstellung. Die Mitte des letzten Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch weltweite Kolonialkämpfe und Liberalisierungen. Der seinerzeit beispiellose Krieg in Vietnam rief große Protestbewegungen in Europa und Amerika hervor, die neben dem politischen Einfluss neue freiheitliche Lebensformen suchten. Insbesondere das Jahr 1969 markiert einen Zeitraum, der starke gegensätzliche Strebungen, sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch innerhalb ihrer Protestkultur, erkennen lässt. Es war nicht nur das Datum der ersten Mondlandung am 20. Juli 1969 zu verzeichnen, sondern zugleich auch der Umschwung der öffentlichen Meinung gegen Vietnam. Die Morde der so genannten Manson-Family in Hollywood am 9. und 10. August 1969 schockierten die Medienöffentlichkeit. Auf das heiter friedliche Woodstock-Festival, vom 15. bis 18. August 1969 im Staat New York, folgte am 6. Dezember das Rockfestival in Altamont/Kalifornien, bei dem es zu einem tragischen Todesfall während eines Auftritts der Rolling Stones kam. Die sprichwörtliche Flower-Power erschien vielen nicht länger als unschuldiger Friedenswunsch. Parallel zu diesen Ereignissen radikalisierten sich die westlichen Studentenbewegungen. Zukünftige Terroristen der RAF flohen im November 1969 aus Deutschland nach Paris. Ihre Gewalt gegen Sachen eskalierte später im Mord. Unter diesen Gesichtspunkten vollzog sich im Jahr 1969 in Amerika und Deutschland eine Gratwanderung, auf deren Weg einige alternative Lebensentwürfe und gesellschaftliche Utopien in ihr gewalttätiges Gegenteil verkehrt wurden – andere scheiterten oder passten sich den Gegebenheiten an. Heute sind Selbstverwirklichung, Kreativität und Flexibilität, die damaligen Leitmotive für eine individuelle Lebenskunst, Schlagworte geworden, um einen viel zitierten ‚neuen Geist des KapitalismusÂ’ durchzusetzen. Die eingeladenen Künstler und Künstlerinnen verhandeln das Thema der Ausstellung, die Ambivalenz der Extreme um 1969, aus ihrer aktuellen Warte und streifen sowohl die Person als auch die Geschehnisse um Charles Manson nur am Rande. Sie entwickeln Perspektiven, die beispielsweise Gruppenbildung als ein Geschehnis zwischen Freiheit und Zwang ansprechen, die Manipulation, Erziehung und Anpassung zum Thema machen, die den musikalischen Hintergrund der Zeit und das Phänomen einer nahezu religiösen Legenden-bildung aufgreifen. Der Name und das Image von Manson dienen aufgrund seiner höchst umstrittenen Medien-Popularität als Stichwortgeber der Ausstellung – sein Konterfei landete 1969 auf dem Titelblatt des Life-Magazins. Charles Manson lebte für ungefähr zweieinhalb Jahre, von Ende 1967 bis 1969, mit der so genannten Family in einer Art Landkommune in Kalifornien. Er gilt als Anstifter für die Morde an Sharon Tate und mindestens sechs weiteren Personen in Hollywood. Er rechtfertigte sie mit einem paranoid phantasierten Rassenkrieg Helter Skelter, benannt nach dem gleichnamigen Song der Beatles. Manson und fünf seiner Gefolgsleute wurden nach einer halbjährigen Fahndung wegen Massenmordes zum Tode verurteilt. Aufgrund der vorübergehenden Abschaffung der Todesstrafe in Kalifornien (1972-1977), wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt. Ihm wird jede Begnadigung verweigert. Er sitzt bis auf den heutigen Tag im Hochsicherheitsgefängnis von Corcoran/Kalifornien ein. Die Schreibweise Man Son (frei übersetzt als „Menschensohn“) ist eine von Manson zeitweilig selbst gewählte Namensverschiebung. Den Auftakt zur Ausstellung bilden drei Gemälde aus verschiedenen Epochen. Zu einem mittelalterlichen „Schmerzensmann“ und einer modernen Lustmord-Darstellung aus der Sammlung gesellt sich eine heutige Position hinzu, die beide Aspekte erneut aufgreift. Meister Franckes Andachtsbild Christus als Schmerzensmann ist um 1435 entstanden. Es zeigt das religiöse Motiv von Christi Passion als Todeserwartung. Die malerische Überhöhung von Leid, Eros und Tod lässt sich als Ausdruck der Opferbereitschaft und zugleich als Erlösung deuten. In enger Verbindung mit der Passion steht die biblische Bezeichnung des so genannten „Menschensohn“, mit dem Jesus Christus gemeint war. George Grosz (1893-1959) verwandelt mit John, der Frauenmörder im November 1918 das Thema Eros und Thanatos in einen imaginären Lustmord. Bei aller Verschiedenheit der Interpretationen dieses Bildes, wird die Formensprache bei Grosz übereinstimmend als Gesellschaftskritik an den politischen Zuständen der Weimarer Republik aufgefasst. Diese Haltung ist von großem Einfluss, unter anderem für den Amerikaner Joe Coleman. Joe Coleman, geboren 1955 in Norwalk/Connecticut, erinnert mit seiner akribischen Pinselarbeit und den ausschweifenden Darstellungen von Gewalt an burleske Traditionen der Malerei. Er portraitiert unter anderem auch Massenmörder und Staatsfeinde aus der Geschichte Amerikas wie zum Beispiel Charles Manson. Colemans Inspiration bezieht sich ausdrücklich auf die in der Weimarer Republik vorherrschende Mentalität zwischen Dekadenz und Kriegsschrecken, die er im heutigen Amerika wieder erkennt. In diesen Beispielen aus drei Epochen wird der Schrecken der Situation unterschiedlich beantwortet. Im mittelalterlichen Bild verbindet er sich mit der religiösen Hoffnung des Einzelnen auf Erlösung. Zur Zeit des ersten Weltkriegs gilt der künstlerische Einsatz bei Grosz dem diesseitigen gesellschaftlichen Wandel. Coleman zeigt seine Kritik in altmeisterlicher Feinmalerei durch die Groteske und mit einem Lachen. Aufgrund der gemeinsamen Präsentation von historischen und zeitgenössischen Positionen lassen sich überkreuzende Logiken, Parallelen und Widersprüche zwischen Geschehnissen in Europa und den USA erkennen, die einen erneuten Blick auf die Zeit der 1960er Jahre und ihre Auswirkungen viel versprechend erscheinen lassen. Neben Joe Coleman konnte bislang eine Reihe namhafter Hamburger und internationaler Künstler verschiedener Generation zur Teilnahme an der Ausstellung gewonnen werden. Die Künstler sind: Joe Colemann, Lutz Dammbeck, Dellbrügge & de Moll, Martin Eder, Stefan Exler, Peter Friedl, Till Gerhard, Elmar Hess, Stephan Huber, Stefan Hunstein, Susanne Klein, Elena Kovylina, Almut Linde, Teresa Margolles, Josephine Meckseper, Aurelia Mihai, Bruce Nauman, Gregor Schneider, Dennis Scholl, Cindy Sherman, Susanne Weirich Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit der Dokumentation aller künstlerischen Beiträge und Essays von Ursula Cyriax, Belinda Grace-Gardner, Gunnar Gerlach, Jan Metzler, Thorwald Proll, Susanne Pfeffer, Nora Sdun sowie einer Einführung von Frank Barth und Dirck Möllmann.

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