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Gutenberg-Museum Mainz


Liebfrauenplatz 5
55116 Mainz
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Di-Sa 9.00-17.00 Uhr
So 11.00-15.00 Uhr

Zwiebelfische - Jimmy Ernst: Glückstadt/New York. Von 'verirrten Lettern' und fremden Zeichen

18.03.2011 - 25.09.2011
Einzelne Lettern, die sich im Setzkasten verirrt haben, werden "Zwiebelfische" genannt. Dieser Titel hat daher in mehrfacher Hinsicht metaphorische Bedeutung für ein Projekt, das Facetten der Biographie von Hans-Ulrich - genannt Jimmy - Ernst (1920-1984) und die Geschichte des Druckhauses Augustin in einer Ausstellung, einem Film und einer Publikation widerspiegelt, für die das Mainzer Gutenberg-Museum im Jahr der "Wissenschafts-Stadt" als "Spielstätte" geradezu prädestiniert ist: 1935 nimmt die weltbekannte, 1632 gegründete und seit 1775 von der Familie Augustin geführte Fremdsprachendruckerei Augustin in Glückstadt bei Hamburg den fünfzehnjährigen Sohn der jüdischen Kunsthistorikerin Louise Straus-Ernst und des surrealistischen Malers Max Ernst in ihre Obhut und ermöglicht ihm eine Schriftsetzerlehre. In der Firma, die Kontakte zu den renommiertesten Wissenschaftlern aller Fachgebiete unterhält, können Texte in allen Sprachen der Welt, sogar in Keilschrift oder Runen, sowie komplexe Formeln und Tabellen gesetzt werden. Diese Leistung wird in Wissenschaftskreisen weltweit anerkannt, zumal der nicht diskriminier-ende bzw. nicht wertende Blick auf fremde Kulturen gerade auch vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Herrschaft äußerst bemerkenswert ist. (Beispielhaft ist die Beschreibung des türkischen Schattenspiels - in osmanischer und lateinischer Schrift nebeneinander gesetzt. Diese Genauigkeit, die den kulturellen Umbruch der Atatürkischen Reformen dokumentiert, führt eine Weltoffenheit vor Augen, die noch heute Bewunderung verdient). Die vielen Fremd-Alphabete, darunter arabisch, hebräisch, griechisch, äthiopisch, koptisch, tamilisch, tibetisch, japanisch etc., prägen Ernsts weiteres Leben: nach der Lehrzeit gelingt ihm mithilfe der Augustins die Emigration nach New York, wo er in amerikanischen Dependance Arbeit findet. Durch den Kontakt mit der New Yorker Kunstszene etabliert sich Jimmy Ernst als Maler; seine Mutter wird 1944 in Auschwitz ermordet, sein weltberühmter, 1941 ebenfalls nach New York geflüchteter Vater stirbt 1976 in Paris. Die seit der Branchenkrise in den 1970er Jahren im Dornröschenschlaf liegende Druckerei Augustin wird durch das Projekt zum Leben erweckt: wertvolle Leihgaben wie der seinerzeit eigens für den Satz chinesischer Texte konstruierte "Satzzirkel" (Rundsetzkasten mit 18.000 Schriftzeichen nach Nummern geordnet), der weltweit einmalig ist, seltene Maschinen (Augustin erwarb bereits 1910 die ersten Monotype-Maschinen) und anderes Mobiliar werden mit einer Auswahl der bei Augustin entstandenen (Wissenschafts-)Literatur zum größten Teil erstmals öffentlich gezeigt. Ein weiterer Baustein, der 2010 entstandene Film von C. Bau und A. Diekhoff, dokumentiert die geheimnisvollen Schriftzeichen, Symbole und Alphabete und untermalt die poetischen Bilder mit Textpassagen aus Jimmy Ernsts Memoiren. Das gleichnamige Buch zum Film präsentiert Stills und Texte. Darüber hinaus konnte die renommierte Kölner Fotografin Candida Höfer (Teilnehmerin der documenta 11, Biennale in Venedig) für Aufnahmen in der unbelebten Druckerei Augustin gewonnen werden, die ebenfalls ausgestellt werden.

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