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Kunsthalle Fridericianum


Friedrichsplatz 18
34117 Kassel
Tel.: 0561 707 270
Homepage

Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr
Do 11.00-20.00 Uhr

Teresa Margolles: Frontera

04.12.2010 - 20.02.2011
Mit reduzierten, aber stets drastischen Mitteln lässt Teresa Margolles (geboren in Culiacán, Mexiko, 1963) Werke von höchster Eindringlichkeit entstehen. Ihre Arbeiten erscheinen oft auf den ersten Blick formal minimalistisch und eröffnen dem Publikum ihre tiefe Emotionalität und Dramatik, wenn es ihrem rigorosen Realismus in der Materialwahl auf die Spur kommt. Margolles verwendet Substanzen wie Blut, Körperfett oder auch Leichenwaschwasser nicht nur symbolisch sondern plastisch und attackiert damit auf subtile Weise menschliche Berührungsängste. Die zentrale Frage, um die sich ihre Kunst in den letzten zehn Jahren hauptsächlich drehte, ist dabei die nach dem Tod und dem, was der Tod hinterlässt. Der tote Körper in seiner sozialen Dimension, physische Überreste von Autopsien und deren Tabuisierung beschäftigen die Künstlerin - wie in den jüngsten Werkgruppen verstärkt sichtbar ist - ebenso wie die persönlichen Rituale der Trauer und gesellschaftliche Strategien der Verdrängung. Margolles arbeitet in enger Verbindung zur Alltagsrealität ihrer mexikanischen Heimat, die seit Jahren vom Drogenkrieg verfeindeter Syndikate dominiert wird und jährlich mehrere tausend Opfer von Gewaltverbrechen zu verzeichnen hat. Als solidarisches Engagement für eben diese Toten ist ihre Kunst zu begreifen, als vehementer Kampf gegen das Vergessen. Zudem ist es ihr ein wichtiges Anliegen, die Frage nach der Zukunft einer Gesellschaft zu stellen, deren Bevölkerung unmittelbar von den Folgen der Gewalt betroffen und traumatisiert zu sein scheint. Teresa Margolles erwarb nach ihrem Kunststudium ein zusätzliches Diplom in Gerichtsmedizin und war seit den 1990er Jahren parallel zu ihrer künstlerischen Arbeit in Leichenschauhäusern in Mexiko Stadt tätig. Dort war sie vor allem mit Gewaltopfern aus der sozialen Unterschicht konfrontiert, deren Familien sich keine Bestattung leisten konnten und deswegen in anonymen Massengräbern begraben wurden. Eine Stimme für diese schon zu Lebzeiten Überhörten zu sein ist erklärtes Ziel der Mexikanerin, die den Zustand einer Gesellschaft anhand ihrer Toten abliest. Denn dass nicht einmal der Tod soziale Ungleichheiten zu nivellieren vermag, liegt bei der Betrachtung von Margolles' Werken auf der Hand. Der Obduktionssaal dient ihr dabei als Quellenfundus, sowohl was Geschichten und Schicksale betrifft, denen sie dort begegnet und auf den Grund geht, als auch bezüglich des physischen Materials, das sie dort vorfindet und für ihre künstlerische Arbeit verwendet. Gleichzeitig schonungsloser Realismus und tiefe Empfindsamkeit äußern sich in Arbeiten wie Entierro (1999), für die sie den Leichnam eines totgeborenen Fötus in einem Betonblock eingoss. Wie in vielen Staaten ist auch in Mexiko keine Bestattung totgeborener Föten üblich, sondern Entsorgung durch das Krankenhaus. Wenn dieser glatte Kubus äußerlich wie eine minimalistische Plastik erscheint, so erhält er mit dem Wissen um den im Kunstwerk bestatteten Fötus eine emotionale Aura, die tief berührt. Ähnlich verhält es sich mit 127 cuerpos (2006), das aus aneinander geknoteten Fäden besteht, die durch den Ausstellungsraum gespannt wurden. Erst wenn man erfährt, dass es sich bei den Fäden um Überreste von Autopsienähten handelt, ist zu erahnen, dass die leichten Verfärbungen dieser filigranen, visuell reduzierten Arbeit nur von Körperflüssigkeiten der Toten herrühren können. In der Kunsthalle Fridericianum präsentiert Margolles unter dem Ausstellungstitel Frontera neue und bestehende Werke von großer Materialvielfalt, die die beängstigenden Ausmaße des Drogenkriegs auf die mexikanische Gesellschaft reflektieren, sich aber auch mit einer allgemeinen Tabuisierung von Tod und Gewalt auseinandersetzen. In unmittelbaren Kontakt mit den Toten versetzt sie die Besucher, indem sie Leichenwaschwasser aus einem mexikanischen Obduktionssaal im Ausstellungsraum auf eine heiße Stahlplatte tropfen lässt und den Tod damit olfaktorisch und atmosphärisch wahrnehmbar macht. Darüber hinaus errichtet sie in der Kasseler Ausstellung zwei Mauern, die sie in mexikanischen Städten hat abtragen lassen und dort durch neue Mauern ersetzt hat. Die mannshohen Betonsteinwände entpuppen sich als Zeugen der alltäglichen Gewalt, sind doch die Einschusslöcher sichtbar, die von Straßenkämpfen stammen und das Stadtbild etwa von Ciudad Juárez, wo der Drogenkrieg besonders heftig tobt, nachhaltig prägen. Mit dem Ausstellungstitel Frontera (Grenze) spielt Teresa Margolles auf die Grenze dessen an, was eine Stadt ertragen kann. Sie zeigt Orte ohne Zukunft, in denen schon Jugendliche die Ausweglosigkeit ihrer Situation begreifen, wie eine ihrer filmischen Arbeiten in bedrückender Weise dokumentiert. Als Relikte von Opfern krimineller Gewalt zeigt Margolles zudem Vitrinen, in denen Schmuck von erschossenen Polizisten, Staatsbeamten, aber auch von Passanten und Touristen präsentiert sind. Während die goldenen Uhren, Ohrringe, Ketten und Armreife wie für die Auslage im Juweliergeschäft drapiert sind, verweisen diese Wertsachen als Vanitassymbole unmittelbar auf den plötzlichen, unverhofften Tod, der diesen Menschen widerfuhr. Weitere Arbeiten, die zum Teil vor Ort entstehen, ergänzen Frontera zu einer Synthese aus Werken, die sich teils eher dokumentarisch, teils sehr emotional der brisanten Realität in Mexiko widmen.

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