Heinrich Maria Davringhausen (1894-1970) ist als Maler der Neuen Sachlichkeit und als einer der wichtigsten Vertreter des Magischen Realismus in die Kunstgeschichte eingegangen. Als maßgeblicher Wegbereiter dieser für die 1920er Jahre signifikanten gegenständlichen Stilrichtung fehlt er in keiner Ausstellung oder Abhandlung, die sich mit der Kunstepoche zwischen den beiden Weltkriegen auseinandersetzt. In seinen ikonographisch sorgsam inszenierten Porträts und Typendarstellungen von Träumern, Irren, Mördern, Dirnen, Morphinisten, Schiebern und Generälen konfrontierte er seine Zeitgenossen auf subtile Weise mit dem Hinter- und Abgründigen, den psychischen Verstörungen und Abnormitäten einer durch den Ersten Weltkrieg traumatisierten, aus den Fugen geratenen Gesellschaft. In den Zirkeln der Berliner und Münchner Boheme, in denen er verkehrte, fiel der junge Künstler selbst durch seine überaus elegante, dandyhafte Erscheinung auf. Else Lasker-Schüler, George Grosz, Oskar Maria Graf u. a. setzten ihm literarische Denkmale, andere, wie z. B. Carlo Mense und Anton Räderscheid, verewigten ihn in eindringlichen Porträts.
Dass Heinrich Davringhausens künstlerische Anfänge im rheinischen Expressionismus wurzeln und er 1914 in der ursprünglich von August Macke konzipierten „Ausstellung Rheinischer Expressionisten“ erstmals als Künstler debütierte, ist hingegen weniger bekannt wie auch sein bestechendes Frühwerk, das bislang nur selten zu sehen war. Dabei ist es gerade im Hinblick auf die Entwicklung und frühe Ausprägung seines neusachlichen Stils äußerst aufschlussreich. Neben der Auseinandersetzung mit internationalen modernen und avantgardistischen Kunstströmungen, wie sie besonders im Rheinland von der jungen Kunstszene rezipiert wurden, belegt es Davringhausens ausgeprägt sensibles Farb- und Formempfinden, durch das sich auch sein neusachliches Werk auszeichnet, sowie seine schon frühe intensive und eigenwillige Beschäftigung mit dem Porträt, der Landschaft und mit religiösen Themen, die auch seine magische Dingwelt später dominieren.
Auch wenn viele der frühen Werke von Heinrich Davringhausen heute verschollen sind, ist es dem August Macke Haus doch gelungen, das frühe Oeuvre des Künstlers nun mit ausgesuchten Arbeiten zu präsentieren und wichtige Entwicklungslinien und -stufen nachzuzeichnen. Dabei ermöglicht das Glück des Zufalls, dass auch erstmals eine plastische Arbeit des Künstlers im Original gezeigt und somit Davringhausens skulpturale Tätigkeit belegt werden kann, die einen eigenen Stellenwert besonders in seinem frühen Werk besessen haben muss.
Davringhausen wuchs in Aachen in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. 1911, mit siebzehn Jahren, beschloss er, Maler zu werden, obwohl er durch einen Unfall bedingt nur auf einem Auge sah. Sieben Jahre jünger als August Macke und vierzehn Jahre jünger als Franz Marc und Ernst Ludwig Kirchner, begann er seine Laufbahn im Umkreis des Rheinischen Expressionismus. Nachhaltige Eindrücke hinterließ die große internationale Sonderbundausstellung in Köln, die er im Sommer 1912 besuchte. Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden symbolistisch, fauvistisch und kubo-futuristisch beeinflusste Werke, überwiegend Landschaften und Porträts. 1914 reiste er zusammen mit Carlo Mense nach Ascona, wo 1914 er der lebensreformerischen Künstlerkolonie auf dem „Monte Verità“ nahe stand.
Nach seiner Übersiedlung nach Berlin, wo Davringhausen von 1915 bis 1918 im avantgardistischen und oppositionellen Zirkel um die Zeitschrift „Neue Jugend“ von Wieland Herzfelde lebte und sich mit George Grosz anfreundete, ging er auch zu gesellschaftskritischen Werken über. In Weiterführung der expressionistischen Mittel entwickelte er um 1916/17 eine neue gegenstandsbetonte Malweise, die stilprägend auf die Neue Sachlichkeit der 1920er Jahre wirkte. Von Ende 1918 bis 1922 lebte Davringhausen für einige Jahre in Münchner Bohème-Kreisen und galt mit seinen Freunden Carlo Mense, Georg Schrimpf und Alexander Kanoldt als zentraler Vertreter des Magischen Realismus. Bereits vor seiner durch den Nationalsozialismus erzwungenen Emigration begann seine Auseinandersetzung mit der reinen Abstraktion. In den Jahren des Exils in Ascona und Mallorca und, nach dem Zweiten Weltkrieg, in Südfrankreich entstand sein großes, in Deutschland wenig bekanntes, surrealistisches und abstraktes Spätwerk.
Die Ausstellung konzentriert sich auf die frühen Gemälde des Künstlers aus der Zeit seiner Begegnung mit den Rheinischen Expressionisten und auf den Übergang zur Neuen Sachlichkeit. Schwerpunkte sind Landschaftsgemälde und Porträts. Ergänzt werden sie durch Beispiele der seltenen erhaltenen Bronzeplastiken und Graphiken des Künstlers, darunter die herausragenden Lithographien zu Fjodor Dostojewskis großem Roman „Die Brüder Karamasow“.
Die rund 40 Exponate, darunter eine Reihe großformatiger Ölgemälde, stammen aus dem Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen, dem Lindenau-Museum Altenburg, dem LVR Rheinisches Landesmuseum, Bonn, dem Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren, dem Museum Wiesbaden sowie verschiedenen privaten Sammlungen.